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Für Lizenzanalogie ist der objektive Wert entscheidend

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Bei der Geltendmachung urheberrechtlicher Schadensersatzansprüche wird auch für Übernutzungen regelmäßig auf die Lizenzanalogie abgestellt. Die bestehende Nutzungsvereinbarung ist für die Übernutzung aber nur dann ausschlaggebend, wenn sie dem objektiven Wert der Nutzungsberechtigung entspricht.

Bundesgerichtshof vom 02.10.2008, I ZR 6/06 – Whistling for a train

Der Fall

Ein Tonträgerhersteller hatte einem Mineralölkonzern die Nutzung der Tonaufnahme „Whistling for a train“ für DM 10.000,00 gestattet; die Einzelheiten waren streitig. Der klagende Tonträgerhersteller ging von einer zehnmaligen Nutzung in 1993 aus. Tatsächlich wurde der Song 1993 mit mindestens 102 Schaltungen und im September 1994 mit zumindest 56 Schaltungen genutzt.

Entscheidung des Gerichts

Die Vorinstanz war im Rahmen der Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gelangt, die Nutzungsrechtsvereinbarung habe nur die Ausstrahlung in 1993 zum Gegenstand gehabt. Deshalb sei für die Nutzung in 1994 noch einmal derselbe Betrag (DM 10.000,00) zu zahlen.
Der BGH verwarf diesen Ansatz und verwies den Fall an das Berufungsgericht zurück. Der Klägerin stehe ein Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen der Lizenzanalogie zu (§ 97 UrhG). Bei dieser Art der Berechnung der Höhe des zu leistenden Schadensersatzes sei zu fragen, was vernünftige Vertragspartner als Vergütung für die vom Verletzer vorgenommenen Benutzungshandlungen vereinbart hätten. Zu ermitteln sei der objektive Wert der Benutzungsberechtigung. Die Höhe der als Schadensersatz zu zahlenden Lizenzgebühr habe der Tatrichter gemäß § 287 ZPO unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls nach seiner freien Überzeugung zu bemessen.
Die „Fortschreibung“ der für 1993 geltenden Vertragsbedingungen durch die Vorinstanz sei nicht nur deshalb fehlerhaft, da in 1993 damit nur die Monate Juli bis Dezember abgedeckt waren. Das Berufungsgericht sei vor allem rechtsfehlerhaft nicht dem Vortrag der Klägerin nachgegangen, dass die ursprüngliche Nutzungsvereinbarung deutlich unter dem objektiven Wert der Nutzung gelegen habe, da der Tonträgerhersteller sie im Hinblick auf eine ca. zehnmalige Nutzung abgeschlossen habe. Deshalb sei es falsch anzunehmen, dass der Tonträgerhersteller in Kenntnis der Anzahl der tatsächlich vorgenommenen Schaltungen für das Jahr 1994 noch einmal einen Vertrag gleichen Inhalts abgeschlossen hätte.
Bei der Festsetzung einer angemessenen Lizenzgebühr seien stattdessen branchenübliche Vergütungssätze und Tarife heranzuziehen, wenn sich in dem entsprechenden Zeitraum eine solche Übung herausgebildet habe. Selbst wenn entsprechende Tarifwerke nicht als allgemein übliche Vergütungssätze anzusehen seien, könnten sie zumindest als Anhaltspunkt einer Schätzung dienen, so hier die Empfehlung des Deutschen Musikverlegerverbandes.

Konsequenzen für die Praxis

Der erste Senat möchte auch die Inhaber von Leistungsschutzrechten bei Übernutzungen nicht an einem ungünstigen Vertrag festhalten. Daher gestattet er den Rückgriff oder zumindest den Vergleich mit Tarifwerken und Verbandsempfehlungen.
Problematisch erscheint der Ansatz des BGH, dem in seinen Rechten Verletzten ex tunc eine objektiv angemessene Lizenz zuzusprechen und nicht das, was der Berechtigte tatsächlich vereinbart hätte. Das verkennt die Bandbreite von Lizenzen im Kreativbereich und wird sich praktisch nie mit dem alternativen Geschehensablauf decken. Eine derart überschießende Lizenz enthält eine – vom BGH stets in Abrede gestellte – Strafkomponente. Fraglich ist auch, ob der BGH auch zu Lasten des Rechteinhabers entschieden hätte bei einer überbewerteten Vorlizenz. Dann wäre die Übernutzung nämlich vielleicht günstiger.
Branchenverbänden macht das Urteil einmal mehr klar, dass seitens ihrer Mitglieder ein vitales Interesse an Tarifempfehlungen vorhanden ist, sofern keine gemeinsame Vergütungsregel (§ 36 UrhG) besteht. Derartige Empfehlungen unterstützen bei Vertragsverhandlungen oder können helfen, entstandenen Schaden zu belegen.