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Einstweilige Regelung der Vorratsdatenspeicherung

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Bis auf Weiteres bleiben die Diensteanbieter verpflichtet, Telekommunikationsverkehrsdaten gemäß dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zu speichern. Auskunftsersuchen der Strafverfolgungsbehörde sind jedoch nur zu erfüllen, sofern eine Katalogtat im Sinne des § 100 a Abs. 2 StPO Gegenstand ist und die weiteren Voraussetzungen des § 100 a Abs. 1 StPO vorliegen. Die Verkehrsdaten sind über die Löschungsfrist des § 113 a Abs. 11 TKG hinaus zu speichern, bis eine Hauptsacheentscheidung vorliegt.

BVerfG vom 11.03.2008, 1 BvR 256/08 – einstweilige Anordnung Vorratsdatenspeicherung

Die Situation

Bekanntlich ist unser freiheitlich demokratisches Gesellschaftsmodell individueller Selbstverwirklichung akut bedroht. Regelmäßige Attacken gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Ausprägung des informationellen Selbstbestimmungsrechts oder der Vertraulichkeit der Telekommunikation führt der Gesetzgeber. Zur Umsetzung der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie (2006/24/EG) aber darüber noch hinausgehend hat die Legislative durch Gesetz vom 21.12.2007 die umfassende Speicherung der bei Kommunikationsvorgängen wie Telefonie oder Internetnutzung anfallenden Verkehrsdaten und die Übermittlung an die Behörden zu repressiven und präventiven Zwecken angeordnet. Der Staat möchte nachträglich über seine Bürger in Erfahrung bringen können, wer, wann, von wo, wie viel, mit wem, über welche Infrastruktur kommuniziert hat. Gegen das Gesetz haben Zehntausende Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Die Entscheidung

Das Bundesverfassungsgericht hat nun vorab entschieden, dass die Daten bis zu einer endgültigen Entscheidung zwar gespeichert werden sollen, Auskünfte jedoch zu beschränken seien auf Ermittlungen wegen der besonders schweren Katalogstraftaten des § 100 a Abs. 2 StPO.
Zusätzlich wird der Bundesregierung aufgegeben, detailliert über die Ausübung dieser Regelung zu berichten. Hintergrund war, dass nach einem Gutachten des MPI die Misserfolgsquote bei Auskunftsersuchen vor der Einführung der Vorratsdatenspeicherung bei lediglich 4 % lag (Rn. 4).
Die Entscheidung erging im Wege einer einstweiligen Anordnung und soll ausdrücklich nur das Verfahren regeln bis zur Entscheidung in der Hauptsache, die das Gericht als noch unentschieden und zeitlich nicht absehbar bezeichnet.

Wie lange noch?

Das Bundesverfassungsgericht bekräftigt seine „solange“ – Rechtsprechung. Demnach wird eine innerstaatliche Rechtsvorschrift nicht auf die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz geprüft, soweit sie eine europäische Richtlinie ohne Gestaltungsspielraum umsetzt und solange auf Ebene der EU ein äquivalenter Grundrechtsschutz gewährleistet ist. Das Bundesverfassungsgericht lässt hier seine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie durchscheinen und verweist auf die anhängige Nichtigkeitsklage Irlands beim EuGH (Rs. C-301/06). Ohne die „Solange“-Kompetenzbeschränkung soll dem Bundesverfassungsgericht jedoch die einstweilige Regelung möglich sein, wenn „aus der Vollziehung eines Gesetzes dem Betroffenen ein besonders schwerwiegender und irreparabler Schaden droht, dessen Gewicht das Risiko hinnehmbar erscheinen lässt, im Eilverfahren über die Entscheidungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts in der Hauptsache hinaus zu gehen und das Gemeinschaftsinteresse an einem effektiven Vollzug des Gemeinschaftsrechts schwerwiegend zu beeinträchtigen“ (Rn. 145).
Eine solche Entscheidung außerhalb der eigenen Kompetenz im einstweiligen Rechtsschutz kann als Signal verstanden werden, dass die Grundlage der „so lange“ – Rechtsprechung in Frage steht.

Zwischenspeicherung und Abruf sollen unterschieden werden

Das wesentliche Argument gegen die Vorratsdatenspeicherung besteht in der Einschüchterungswirkung. Die umfassende, anlasslose Bevorratung sensibler Kommunikationsdaten über praktisch jedermann ohne genaue Festlegung der staatlichen Zwecke der späteren Verwendung dieser Daten wirkt sich unmittelbar auf die Nutzung der Kommunikationsnetze aus.
Mit dieser Argumentation wurde einst das informationelle Selbstbestimmungsrecht aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitet. Mit dem Schutz der freien Entfaltung der Person sei es nicht zu vereinen, wenn die Bürger befürchten müssten, Daten über ihr Verhalten würden gesammelt und später vielleicht allerlei Auswertungen unterzogen. Dann nämlich stünde zu erwarten, dass Freiheiten nicht mehr wahrgenommen würden, aus der Sorge, ob sich aus den diesbezüglichen Informationen irgendwann vielleicht Nachteile ergeben könnten. Dieser Effekt ist um so stärker bei klandestinen Verarbeitungsvorgängen.
Ohne Zweifel begegnet das Bundesverfassungsgericht dem Hunger der Behörden nach möglichst vielen Daten unter unklaren oder unspezifischen Verwendungszwecken mit großer Skepsis. Allerdings soll im konkreten Fall die Speicherung der Verkehrsdaten gerade noch zulässig sein. Erst der Abruf durch die Behörden stelle einen so massiven unwiederbringlichen Nachteil dar, dass er bis zur Entscheidung in der Hauptsache gestoppt werden müsse. Hintergrund ist auch hier, dass dem Bundesverfassungsgericht grundsätzlich unwohl dabei ist, bestehendes Gemeinschaftsrecht außer Kraft zu setzen. Das grundsätzliche Problem der „Vorratsverdächtigungsrichtlinie“ ist jedoch gerade die zu befürchtende Unterdrückung von Kommunikationen und das gestörte Vertrauen in die Kontrollfreiheit alltäglicher, legaler Kommunikationsvorgänge. Die vom Gericht getroffene Unterscheidung zwischen einstweilen zulässiger Speicherung und unzulässiger Abfrage führt zu dem insoweit folgerichtigen, aber wenig überzeugenden Ergebnis der Speicherung der Verkehrsdaten über den gesetzlich vorgesehenen Zeitraum hinaus bis zu einer Hauptsacheentscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Auf diese Weise werden voraussichtlich über Jahre enorme Datenmengen bei privaten Unternehmen entstehen, mit denen eine vollständige Abbildung der Kommunikationsbeziehungen aller Bürger erstellt werden könnte. Was werden die Behörden mit diesem Material alles anfangen, sollte die Hauptsacheentscheidung die Schleusen öffnen? Die Entscheidung führt hier zu einem stärkeren Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der Bürger als das angegriffene Gesetz selbst vorsah auf Kosten der Provider, die sich um die sichere Aufbewahrung der Daten zu kümmern haben.