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E-Mails können beim Provider wie Post beschlagnahmt werden

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Für strafrechtliche Ermittlungen war streitig, unter welchen Voraussetzungen auf beim Provider gespeicherte E-Mails zugegriffen werden darf. Der BGH geht einen Mittelweg und lässt die Beschlagnahme sowohl für gelesene als auch für ungelesene E-Mails nach denselben Maßstäben wie bei der Postbeschlagnahme zu (§§ 99, 100 StPO).

BGH vom 31.03.2009 – 1 StR 76/09 – und BVerfG vom 16.06.2009, 2 BvR 902/06 – E-Mail-Beschlagnahme beim Provider

Ausgangsfrage

Für bei einem Provider eingegangene und dort gespeicherte E-Mails war streitig, unter welchen Voraussetzungen Ermittlungsbehörden darauf zugreifen dürfen. In Betracht kommt eine einfache Beschlagnahme (§§ 94, 98 StPO), eine Postbeschlagnahme (§§ 99, 100 StPO), sowie eine Telekommunikationsüberwachung (§100a StPO).

Entscheidung des BGH

Der BGH geht den Mittelweg. Unabhängig davon, ob eine E-Mail gelesen oder ungelesen sei, bedürfe es nicht der Anforderungen an eine Telekommunikationsüberwachung (§100a StPO), weil spätestens ab Speicherung kein Telekommunikationsvorgang (mehr) gegeben sei.
Die Situation sei unter Berücksichtigung des heutigen Kommunikationsverhaltens in jeder Hinsicht vergleichbar mit der Beschlagnahme anderer Mitteilungen, welche sich zumindest vorübergehend bei einem Post- oder Telekommunikationsdienstleister befinden (z.B. Telegramm). Daher könnten E-Mails jedenfalls gemäß den Voraussetzungen des § 99 StPO beschlagnahmt werden. Der grundrechtssichernde Schutz werde bei einer Anordnung nach § 99 StPO durch das Erfordernis einer richterlichen Anordnung bzw. Bestätigung (§ 100 StPO) hinreichend gewahrt. Für die Anwendung des §§ 99 StPO spreche schließlich auch die Neufassung des § 101 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO, wonach für derartige Maßnahmen ausdrücklich eine Benachrichtigungspflicht festgelegt sei.

Entscheidung des BVerfG

Das Bundesverfassungsgericht erweitert die Ermächtigungsgrundlage, nach der Ermittlungsbehörden auf gespeicherte E-Mails zugreifen können. Zwar wird in das Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 Abs. 1 GG eingegriffen, es genügt aber, wenn die Behörde ihre Maßnahme auf die allgemeinen Vorschriften der §§ 94 ff. StPO stützt. § 99 oder § 100a sind aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht speziellere oder abschließende Grundlagen.

Auch wenn dies für die Staatsanwaltschaften die Handlungsräume erweitert und eine Durchsuchung und Beschlagnahme ausdrücklich nicht auf schwere Straftaten beschränkt ist, so sind die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichtes zur konkreten Verhältnismäßigkeit des Eingriffes zu beachten:

  • Es muss eine Abwägung zwischen der Maßnahme mit der Schwere der Tat, der Stärke des Tat- und Auffindungsverdachtes, bzw. der Beweiserheblichkeit erfolgen.
  • Es muss das Übermaßverbot beachtet werden: Maßnahmen sind zeitlich und inhaltlich am konkreten Ermittlungszweck zu begrenzen, Daten sind sparsam zu erheben, nicht erforderliche Informationen sind unverzüglich zu löschen. Das BVerfG sieht damit ein abgestuftes Prüfprogramm vor, vom vollständigen Absehen der Beschlagnahme bis zur Sicherstellung des gesamten Bestandes).
  • Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung dürfen nicht erhoben, andernfalls müssen sie sofort gelöscht werden.
  • Das Verfahren (auch der Beschluss selbst) muss einen effektiven Schutz der getroffenen Anforderungen, bzw. der Rechte des Betroffenen gewährleisten, z.B. durch vorherige Unterrichtung.

Bewertung

Der vom BGH gewählte Kompromiss gleicht die Interessen der Betroffenen angemessen aus. Über den Rückgriff auf § 99 StPO in Verbindung mit § 101 StPO wird eine heimliche Beschlagnahme ausgeschlossen. Die Nichtanwendung der strengen Voraussetzungen für die Telekommunikationsüberwachung (§ 100a StPO) scheint vor allem deshalb nicht unangemessen, weil E-Mails bekanntermaßen kein sicheres und damit auch kein vertrauliches Kommunikationsmittel sind. Es erscheint daher konsequent, eine entsprechende Vertraulichkeit auch nicht nachträglich über die Strafprozessordnung zu konstruieren.
Das Ergebnis des BGH ist überzeugend, die Begründung nicht ganz. Insbesondere gilt das für die lapidaren Ausführungen zum Ende des Telekommunikationsvorgangs sowie für die Nonchalance, mit der strafprozessuale Normen erweiternd ausgelegt und die Rechtsgrundlage des Ausgangsgerichts (§§ 94, 98 StPO) für unmaßgeblich gehalten werden.
In der Praxis wird man die Entscheidungen des BGH und BVerfG kombinieren müssen, was auf eine quasi eigenständige Rechtsgrundlage für die E-Mail-Beschlagnahme hinausläuft.