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BGH: Sperranordnung gegen Anbieter von Internetanschlüssen künftig möglich (Urteile v. 26.11.2015 – I ZR 3/14 und I ZR 174/14)

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Anbieter von Internetanschlüssen (Access-Provider) können künftig als Störer darauf in Anspruch genommen werden, den Zugang zu Internetseiten, auf denen urheberrechtswidrige Inhalte angeboten werden, für ihre Kunden zu unterbinden.

 

Die Fälle

 

Die Klägerinnen im Verfahren I ZR 174/14 sind Tonträgerhersteller verschiedener Musik-Alben, die Klägerin im Verfahren I ZR 3/14 ist die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA). Beklagt sind in beiden Verfahren jeweils Telekommunikationsunternehmen, die ihren Kunden allgemeine Internetanschlüsse bereitstellen. Über diesen Zugang zum Internet war es den Nutzern auch möglich, Webseiten aufzurufen, auf denen sich Linksammlungen zu bekannten Filesharing-Netzen wie „eDonkey“ oder „Rapidshare“ fanden. Mittels dieser Links ließen sich wiederum Werke unter Verletzung der urheberechtlichen Ansprüche der Klägerinnen herunterladen. Nachdem Webseitenbetreiber und Host-Provider jeweils nicht unmittelbar feststell- bzw. erreichbar waren, wandten sich die Klägerinnen an die Beklagten und verlangten von diesen als Störer Unterlassung der Urheberrechtsverletzung durch Sperrung des Zugangs zu diesen Webseiten. In beiden Verfahren unterlagen die Klägerinnen sowohl in erster als auch in zweiter Instanz (I ZR 174/14: LG Hamburg, Urteil vom 12. März 2010 – 308 O 640/08; OLG Hamburg – Urteil vom 21. November 2013 – 5 U 68/10; I ZR 3/14: LG Köln – Urteil vom 31. August 2011 – 28 O 362/10; OLG Köln – Urteil vom 18. Juli 2014 – 6 U 192/11).

 

Die Entscheidungen

 

Die Berufungsgerichte gingen in beiden Fällen zwar von einer grundsätzlichen Haftung des Access-Providers als Störer aus. Die geforderte Sperrung beurteilten sie jedoch als unzumutbar, insbesondere weil diese einerseits die Urheberrechtsverletzung wegen bestehender Umgehungsmöglichkeiten nicht effektiv zu beseitigen vermöge und andererseits auch legale Inhalte auf den fraglichen Webseiten betroffen seien.

Dies sah der BGH jetzt anders. Eine Störung vollständig und ohne Umgehungsmöglichkeiten abzustellen sei im Internet aufgrund der technischen Gegebenheiten in den seltensten Fällen möglich. Dies allein könne eine fehlende Effektivität und damit eine Unzumutbarkeit der Maßnahme nicht begründen. Auch wenn sich die urheberrechtswidrigen Inhalte noch über andere Quellen abrufen ließen, würden hier zumindest die konkret angegriffenen Webseiten vollständig geblockt und der Zugriff auf die Inhalte dadurch erschwert. Der erfolglose Aufruf führe den Nutzern die Rechtswidrigkeit des Abrufs vor Augen. Der BGH teilte zudem nicht die Meinung der Vorinstanz, die Unzumutbarkeit einer Sperrung könne bereits aus der absolute Anzahl legaler Inhalte auf der angegriffenen Webseite resultieren, die von einer Sperre zwangsweise mitbetroffen wären. Das OLG Köln hatte diese auch mit der Anzahl der geltend gemachten Musiktitel ins Verhältnis gesetzt. Hier stellte der BGH klar, dass es vielmehr auf das Gesamtverhältnis von rechtmäßigen und rechtswidrigen Inhalten auf der jeweiligen Seite ankomme. Im konkreten Fall machten die legalen Inhalte lediglich 4% aus. Dies reichte hier nicht aus, um eine Unzumutbarkeit anzunehmen.

Im konkreten Fall lehnte der BGH die Pflicht der Access-Provider zur Sperrung aber dennoch ab. Zwar hafte der Störer grundsätzlich nicht nachrangig zum Täter oder Teilnehmer, da die Leistung der Access-Provider aber grundsätzlich neutral und von der Rechtsordnung gewünscht sei, seien diesem Sperrmaßnahmen nur nachrangig zur Inanspruchnahme von Webseitenbetreiber oder Host-Provider zumutbar. Die Klägerinnen hätten aber jeweils zumutbaren Anstrengungen unterlassen, gegen die Webseitenbetreiber oder die Host-Provider der Webseite vorzugehen. Diese vorrangig Verantwortlichen waren in beiden Fällen schwer zu ermitteln. So wurde im Verfahren vor dem LG und OLG Köln gar nicht gegen die Webseitenbetreiber vorgegangen, da dessen Identität aus dem Webauftritt nicht ermittelt werden konnte. Eine Inanspruchnahme des Host-Providers wurde ebenfalls unterlassen, da sich die Klägerinnen in dessen Sitzland Russland keine Hoffnungen auf eine Durchsetzung etwaiger Ansprüche machten. Im Verfahren vor dem LG/ OLG Frankfurt wurde eine erwirkte Verfügung gegen den Betreiber zurückgenommen, da diese nicht zugestellt werden konnte. Die Anschrift des Host-Providers konnte ebenfalls nicht ermittelt werden. Zumutbar sei hier das Einschalten der staatlichen Ermittlungsbehörden oder privater Ermittler zur Feststellung der korrekten Adressen der Beteiligten gewesen.

 

Konsequenzen

Auf den ersten Blick sieht das Urteil aus wie ein Sieg für ein freies Internet. Das Gegenteil ist der Fall. Der BGH eröffnet mit dieser Entscheidung den Weg zur Sperrung vollständiger Webadressen aus privaten Interessen. Denn nun sind erstmals Sperranordnungen gegen Access-Provider möglich. Die Störerhaftung für Urheberrechtsverletzungen im Internet wird dadurch wesentlich ausgedehnt. Problematisch ist dabei insbesondere, dass der BGH in den zentralen Punkten unklar bleibt. So gibt er keinen Hinweis darauf, wie hoch der Anteil der von einer Sperrung miterfassten rechtmäßigen Inhalte sein müsse, um eine Unzumutbarkeit der Maßnahme zu begründen. Auch den relevanten Einwand einer fehlenden Effektivität einer Sperre wischt der BGH mit dem lapidaren Kommentar beiseite, zumindest werde der Zugriff auf die Inhalte durch Eliminieren einer Zugangsmöglichkeit erschwert. Der Hinweis, durch die Sperrnachricht würde das Unrechtsbewusstsein der Nutzer geschärft, ist schlicht lebensfremd. Zwar sieht der BGH die Access-Provider gegenüber Webseiten-Betreiber und Host-Provider nur als nachrangig verpflichtet an und stellt an die vorgeschalteten Bemühungen gegenüber Webseitenbetreiber und Host-Provider relativ hohe Anforderungen. Bei vielen Angeboten werden diese Hürden aber einfach zu nehmen sein. Die Folge ist, dass bei der vermeintlichen Störung absoluter Rechte zukünftig ein Weg besteht, die neutralen Accessprovider zu einer Filterung zu bewegen, weil es für den Provider günstiger ist, Inhalte zu sperren als einen Rechtsstreit zu führen. Der deutsche Sonderweg einer Störerhaftung von neutralen Mittlern verstärkt die Tendenz gegen ein freies Internet.