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BGH zur Abgrenzung von Verdachtsberichterstattung und Meinungsäußerung

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In Zeiten, in denen der Umgang mit bewusst verbreiteten Falschmeldungen, sogenannte Fake News, diskutiert wird und „postfaktisch“ zum Wort des Jahres 2016 gekürt wurde stellt sich die Frage nach den rechtlichen Grenzen öffentlichen Äußerungen und Berichterstattung.
Ob eine bestimmte Äußerung oder Berichterstattung zulässig ist, hängt davon ab, ob es sich um eine Meinungsäußerung oder um eine Tatsachenbehauptung handelt. Die Meinungs-äußerung ist durch das Grundgesetz besonders geschützt; es gilt die Vermutung der Zuläs-sigkeit der freien Rede. Erst wenn eine Meinungsäußerung die Grenzen zur Schmähkritik (dank Jan Böhmermann belegt dieses Wort Platz 4 der Wörter des Jahres 2016) überschrei-tet, ist sie unzulässig und kann Unterlassungs- und Zahlungsansprüche zur Folge haben.
Die rechtliche Zulässigkeit von Tatsachenbehauptungen richtet sich danach, ob diese wahr oder falsch sind. Wahre Tatsachenbehauptungen sind geeignet, zur Meinungsbildung beizu-tragen und genießen daher auch den Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit. Ob eine wahre Tatsachenbehauptung das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verletzt, unterliegt einer Einzelfallprüfung und ist davon abhängig, welche Sphäre des Persönlichkeitsrechts berührt wird. Nicht schutzwürdig dagegen sind unwahre Tatsachenbehauptungen, die eine Vielzahl von Ansprüchen (Gegendarstellung, Widerruf, Berichtigung, Unterlassung, Zahlung) des Be-troffenen zur Folge haben.
Zur Abgrenzung von Tatsachbehauptung und Meinungsäußerung wird darauf abgestellt, ob die Äußerung als etwas Geschehenes grundsätzlich dem Beweis offensteht. Ist dies der Fall, handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung. Dagegen enthalten Meinungsäußerungen Elemente des Dafürhaltens und Bewertens, die sich insbesondere nicht mit dem Kriterium „wahr oder unwahr“ messen lassen. Auf den ersten Blick erscheint eine Abgrenzung anhand dieser Definitionen leicht zu sein. Dass eine Abgrenzung die Praxis vor Schwierigkeiten stellt, zeigt die Vielzahl an gerichtlichen Entscheidungen, die zu diesem Thema ergangen ist.
Schwierig ist die Abgrenzung insbesondere bei Äußerungen, die als Frage formuliert wer-den, denn Fragen unterscheiden sich von Werturteilen und Tatsachenbehauptungen dadurch, dass sie keine Aussage machen, sondern eine Aussage herbeiführen wollen (BVerfG, Beschluss vom 09.10.1991 – 1 BvR 221/90). Handelt es sich um eine echte Frage, genießt diese den Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit. Unechte oder rhetorische Fragen dagegen enthalten eine Aussage, die sowohl eine Tatsache oder aber eine Meinung darstellen kann. Die Abgrenzung ist nach den oben dargestellten Kriterien vorzunehmen.
Durch eine Frage kann auch ein bestimmter Verdacht geäußert werden, was nur zulässig ist, wenn die Voraussetzungen der sogenannten Verdachtsberichterstattung eingehalten wer-den. Die Abgrenzung zwischen Verdachtsberichterstattung (Tatsachenbehauptung) und Meinungsäußerung ist Inhalt der BGH-Entscheidung vom 27.09.2016 (VI ZR 250/13). Die Aussage „erst streitet M. mit Z. um Geld, dann dreht M.`s guter Bekannter einen kritischen Bericht über das Unternehmen? Die Frontal 21-Macher halten das ebenfalls für puren Zufall.“ stellt nach Ansicht des BGH eine hinzunehmende Meinungsäußerung dar. Entgegen der Vorinstanzen kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass in Bezug auf die Motivation des Klägers kein Verdacht geäußert werde, so dass die Grundsätze der Verdachtsberichterstat-tung keine Anwendung finden. Vielmehr enthalte die Aussage eine eigene Schlussforderung des Autors aufgrund unstreitiger Tatsachen. Es handle sich somit um eine offene bzw. echte Frage, die einem Werturteil gleichsteht. Dieses Werturteil betrifft die berufliche Tätigkeit des betroffenen Journalisten, mithin die Sozialsphäre des Persönlichkeitsrechts. Berührt eine Meinungsäußerung diese Sozialsphäre, so ist diese nur dann unzulässig, wenn damit schwerwiegende Auswirkungen, wie z.B. eine Stigmatisierung, soziale Abgrenzung oder eine Prangerwirkung, verbunden ist. Eine solche schwerwiegende Auswirkung verneinte das Gericht. Vielmehr müsse sich ein Journalist eine kritische Auseinandersetzung mit seiner Arbeit gefallen lassen.